Umberto Eco zu 'The Murder of Roger Ackroyd'

Fragen und Gedanken zu den Büchern der Queen of Crime
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Agarallo
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Umberto Eco zu 'The Murder of Roger Ackroyd'

Beitrag von Agarallo »

Hier nur ein paar Ausschnitte aus den Thesen von Umberto Eco (vielen als
durch 'Der Name der Rose' bekannt). Habe bewußt die 'Semiotik' als Begriff unter den Tisch fallen lassen (die wenigsten können damit etwas anfangen).

„Die Wahrheit des Falles muß stets offenbar sein - vorausgesetzt, der Leser ist scharfsinnig genug, sie zu sehen. Damit meine ich, daß der Leser - sollte er nach der Aufklärung das Buch noch einmal lesen - sehen würde, wie die Lösung sich ihm gewissermaßen immer schon aufgedrängt hat, wie alle Hinweise tatsächlich auf den Täter deuteten und wie er, wäre er so klug gewesen wie der Detektiv, den Fall selbst hätte lösen können, ohne bis zum letzten Kapitel zu lesen." (nach Van Dine)
Der Roman "The Murder of Roger Ackroyd", 1926 erschienen, ist das Werk, das Agatha Christie weltberühmt gemacht hat. In diesem Roman wird der Code des klassischen Kriminalromans, so wie er sich bis 1926 konstituiert hatte, einerseits in Frage gestellt, andererseits perfekt respektiert. In Frage gestellt, da der Ich-Erzähler, die Figur, die an Dr. Watson oder an Captain Hastings erinnert, der Mörder ist: für den damaligen Leser war das ein echter Tiefschlag, perfekt respektiert, denn Hercule Poirot, der Detektiv von Agatha Christie, erfährt, was passiert ist, indem er das Tagebuch des Mörders liest; dieses Tagebuch ist das, was auch der Leser liest, es ist der Roman. Der Leser hat also keine Entschuldigung: er erfährt dieselben Fakten, die Poirot erfährt- wenn er den Mörder nicht identifiziert hat, bedeutet das, daß er nicht so klug wie Poirot gewesen ist- um sich davon zu überzeugen, braucht er nur den Roman noch einmal zu lesen. „In The Murder of Roger Ackroyd führt Agatha Christie den Leser durch eine Reihe von Vermutungen über den Mörder, die sich alle als falsch erweisen, denn der Mörder ist - ein Novum in der Geschichte des Kriminalromans - der Erzähler. Am Ende erklärt jedoch der Erzähler dem Leser, er habe ihn keineswegs irregeführt, denn er habe ihm immer gesagt, was er jeweils tat, auch als er den Mord beging, nur habe er es in beschönigender Form gesagt (zum Beispiel "ich tat, was ich tun mußte"). Und er fordert den Leser auf, das Ganze noch einmal zu lesen, um zu erkennen, daß er, der Leser, dem Mörder durchaus hätte auf die Spur kommen können. So schließt das Buch gleichsam mit dem Leser einen Vertrag. Es verspricht ihm die Möglichkeit einer zweimaligen Lektüre, einer "naiven" und einer "kritischen", und es fordert ihn auf, am Ende seiner naiven Lektüre das Ganze noch einmal kritisch zu lesen." Agatha Christie fordert am Schluß dazu auf, ihren Text nochmals durchzulesen, um zu enthüllen, daß das Verbrechen eigentlich nicht verborgen, sondern das der naive Leser nur nicht auf ihre Worte geachtet hatte. In diesem Fall fordert die Autorin den kritischen Leser dazu auf, die Geschicklichkeit zu bewundern, mit der der Text den naiven Leser in die Irre führte.
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mark
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Beitrag von mark »

Guter Artikel; Semiotik hättest Du aber nicht unter Tisch fallen lassen müssen :wink:
Ich war ja so stolz auf mich, als ich dieses Buch in der elften Klasse (vom Alter her) gelesen habe, und auch tatsächlich über die eine entscheidende Passage gestolpert bin. Leider habe ich die Unstimmigkeit nur bemerkt, zwar auch bewußt, kam aber trotzdem nicht auf den richtigen Mörder, da der Erzähler ja bis dato es auch nie war. Dr Shephard brauchte nämlich für seinen Nachhauseweg, obwohl nur ein paar Schritte über eine Viertelstunde!
Aber immerhin, habe es entdeckt. :D :wink:
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Agarallo
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Beitrag von Agarallo »

Schlaues Kerlchen :lol:
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mark
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Beitrag von mark »

Dachte ich mir auch. :D :wink:
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